Das Lügenlied.
(Mit einer neuen Musike versehen von Chico Chicokowski)
Ich will euch erzählen, und will auch nicht lügen:
Ich sah zwei gebratene Ochsen fliegen,
Sie flogen gar ferne –
Sie hatten den Rücken gen Himmel gekehrt,
Die Füße wohl gegen die Sterne.
Ein Amboß und ein Mühlenstein
Die schwammen bei Köln wohl über den Rhein,
Sie schwammen gar leise –
Ein Frosch verschlang sie alle beid
Zu Pfingsten wohl auf dem Eise.
Es wollten Vier einen Hasen fangen,
Sie kamen auf Stelzen und Krücken gegangen,
Der erste konnte nicht sehen,
Der zweite war stumm, der dritte war taub,
Der vierte konnte nicht gehen.
Nun denke sich einer, wie dieses geschah:
Als nun der Blinde den Hasen sah
Auf grüner Wiese grasen,
Da rief’s der Stumme dem Tauben zu,
Und der Lahme erhaschte den Hasen.
Es fuhr ein Schiff auf trockenem Land,
Es hatte die Segel gen Wind gespannt
Und segelt’ im vollen Laufen –
Da stieß es an einen hohen Berg,
Da thät das Schiff ersaufen.
In Straßburg stand ein hoher Thurm,
Der trotzete Regen, Wind und Sturm
Und stand fest über die Maaßen,
Den hat der Kuhhirt mit seinem Horn
Eines Morgens umgeblasen.
Ein altes Weib auf dem Rücken lag,
Sein Maul wohl hundert Klafter weit aufthat,
S’ ist wahr und nicht erlogen,
Drinn hat der Storch fünfhundert Jahr
Seine Jungen groß gezogen.
So will ich hiemit mein Liedlein beschließen,
Und sollt’s auch die werthe Gesellschaft verdrießen,
Will trinken und nicht mehr lügen:
Bei mir zu Land sind die Mücken so groß,
Als hier die größsten Ziegen.
Aus: Mährchen und Jugenderinnerungen. Zweiter Theil. S. 370–372, von Ernst Moritz Arndt, 1843